Von Cornelius Dieckmann, Christoph Giesen, Tobias Großekemper, Timo Lehmann, Ann-Katrin Müller, Sven Röbel, Wolf Wiedmann-Schmidt und Steffen Winter
Er arbeitete für den chinafreundlichen AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah und bewegte sich unter Exil-Oppositionellen: Nun sitzt Jian G. in Untersuchungshaft. Der SPIEGEL-Report über den Mann, der für Peking spioniert haben soll.
Im Rückblick kommt einem manches komisch vor, auch diese Tür im fünften Stock im Parlamentsgebäude Altiero Spinelli in Brüssel. Dort hat der Assistent des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah sein Büro. Jian G.s Name steht auf einem Schild, umringt von den zwölf gelben Sternen der EU.
Nur eine Klinke hat die Tür zu Raum 05F159 nicht. Man muss das Zimmer über das Büro von Krah betreten.
Aber das sind nur kleine Merkwürdigkeiten in einer großen Affäre, einer Spionageaffäre, die das Zeug hat, der AfD den Europawahlkampf zu vermasseln, Krah tritt als ihr Spitzenkandidat an – und will das auch bleiben. Sein Assistent sitzt nun in Untersuchungshaft. Krah hat angekündigt, dass er Jian G. an diesem Mittwoch kündigen werde.
In der chinesischen Oppositionellenszene in Deutschland fragen sie sich nun, warum sich dieser Jian G. jahrelang in ihren Kreisen bewegte, auch dann noch, als er für den chinafreundlichen AfD-Politiker Krah arbeitete. Hat er sie ausgespäht? Sie an den Geheimdienst der Volksrepublik verraten?
Es sind keine abwegigen Fragen. Denn genau das soll Jian G. nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft getan haben. Er soll versucht haben, das Vertrauen von Regimekritikern zu gewinnen, um sie auszuforschen und Namen von Dissidenten im Exil und in China herauszufinden.
Politisch noch heikler sind die Vorwürfe, der 43-Jährige habe auch interne Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen aus dem Europaparlament an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben. Ein Spion Chinas, inmitten der Herzkammer der Demokratie? Es ist ein ungeheuerlicher Verdacht.
Wer also ist der Mann, der im Mittelpunkt der Spionageaffäre steht?
Krahs Mitarbeiter lebte zuletzt in einem Plattenbau im Süden Dresdens. Kleinpestitz heißt der Stadtteil, er liegt weit ab von den Dresdner Villenvierteln mit Blick auf die Elbe. Hier schaut man auf die viel befahrene Kohlenstraße und den Kaufland-Markt.
Jian G.s Wohnung befindet sich in einem grün-grauen Block mit zwölf Mietparteien, oben links im Dachgeschoss. Vor dem Haus steht eine rund geschnittene Hecke.
Am Dienstagnachmittag sind noch immer Polizisten mit der Spurensicherung beschäftigt. Zwei Beamte verlassen das Haus und beladen einen dunklen Mazda CX-5. Die sächsische Polizei hatte die Festnahme am späten Montagabend übernommen, die Wohnung wollte das Bundeskriminalamt selbst durchsuchen.
Jian G. ist gebürtiger Chinese, seit Längerem aber Deutscher. In den Nullerjahren studierte er an der TU Dresden Germanistik und Geschichte. Er arbeitete für die sächsische Dependance eines chinesischen Solarunternehmens und ein LED-Handelsunternehmen. Dann leitete er eine Beratungsfirma, die sich dem »Im- und Export« und der »interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschland und China« verschrieb.
Er begleitete Krah nach China
In dieser Zeit in Dresden lernten sich Krah und Jian G. kennen, Krah vertrat ihn als Anwalt. Als der sächsische AfD-Politiker 2019 ins Europaparlament einzog, machte er ihn zu einem seiner Assistenten.
Bei einer Chinareise, die Krah im Herbst 2019 zu mehreren Stadtverwaltungen und einem Forschungszentrum des umstrittenen Huawei-Konzerns führte, begleitete Jian G. den AfD-Mann. Nach der Rückkehr drängte Krah Parteifreunde in Berlin zu Offenheit gegenüber Peking und lobte die chinesische Technologie in höchsten Tönen.
»Er ist mein Fachmann für internationalen Handel, pflegt exzellente Kontakte in viele Richtungen«, sagte Krah dem SPIEGEL im Dezember 2023 über Jian G. Da stand bereits der Verdacht internationaler Nachrichtendienste im Raum, sein Mitarbeiter sei eng an den chinesischen Staatsapparat angebunden. »Ich habe keine Anhaltspunkte, die mich an der Loyalität und Zuverlässigkeit meines Mitarbeiters zweifeln lassen«, sagte Krah dazu.
Im vergangenen Jahr bot Jian G. auch Nachwuchspolitikern der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) Reisen nach China an. Einige der aufstrebenden Rechtsextremen liebäugeln wie Krah mit dem autoritären Land, »China als Vorbild für ein patriotisches Deutschland und Europa?«, fragen sie in einem Podcast. Es seien mehrere Delegationsreisen für Parteifreunde angedacht, ließ Jian G. Funktionäre der JA in Sachsen wissen. Die Flüge müssten die Mitreisenden bezahlen, Essen und Übernachtungen in China würden übernommen.
All das passt nicht so recht zu jenem Jian G., der sich viele Jahre in chinesischen Exiloppositionellen-Kreisen bewegte.
In der kleinen Dissidentenszene in Deutschland kennen sie den Mann mit den kurzen Haaren und der eckigen Brille gut. Irgendwann tauchte er auf, wollte überall dabei sein. Zum Beispiel bei einem Seminar in Frankfurt am Main. Freiwillig habe Jian G. sich gemeldet, die Gäste von der U-Bahn abzuholen, erinnert sich eine Teilnehmerin. »Er hat sich richtig reingehängt, geschuftet.« Das zahlte sich aus: Rasch stieg er auf in den Führungszirkel der chinesischen Exildemokraten in Deutschland.
Im Februar 2021 wurde Jian G. laut einem Sitzungsprotokoll zum Generalsekretär der »Chinese Republican Party« ernannt, einem Zusammenschluss von Auslandschinesen, die sich für Freiheit, Menschenrechte und Gewaltenteilung in ihrem Heimatland einsetzen. Bei einem Onlinesymposium wurde G. als Hoffnungsträger einer neuen Generation der Demokratiebewegung vorgestellt.
Knüpfte Jian G. also gezielt Kontakt zu Regimekritikern, um Informationen über sie zu sammeln?
Tienchi Martin-Liao hält das für sehr gut möglich. Die chinesische Autorin und Übersetzerin lebt seit den Siebzigerjahren in Deutschland und engagiert sich in der Demokratiebewegung. G. habe sie 2012 kennengelernt, sagt sie dem SPIEGEL. »Er war angenehm. Ziemlich schweigsam, aber immer hilfsbereit.« Regelmäßig habe er an Veranstaltungen der »Föderation für ein demokratisches China« (FDC) teilgenommen, in der Martin-Liao leitend aktiv war.
Nach einer Weile habe G. verlangt, in den Vorstand der FDC aufzurücken, was auch geschehen sei. Er habe in dieser Zeit öfter an regimekritischen Demonstrationen etwa vor der chinesischen Botschaft teilgenommen. Eines Tages, sagt Martin-Liao, habe er dann darum gebeten, dass die FDC ihn für einen Besuch beim Dalai Lama empfehle.
Jian G. mit Dalai Lama Foto: OHHDL
2017 reiste G. tatsächlich in dessen Exilsitz im indischen Dharamsala. Ein Gruppenfoto zeigt ihn mit dem religiösen Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Der Dalai Lama lächelt, G. hält seine linke Hand.
Nach der Audienz verfasste Jian G. einen Erfahrungsbericht, der auf der Website der tibetischen Exilregierung erschien. Betrachtet das Regime in Peking den Dalai Lama als Staatsfeind, war G. damals voll des Lobes. »Obwohl die Tibeter von der Kommunistischen Partei Chinas gewaltsam unterdrückt wurden«, schrieb er, »wurden sie unter der Führung seiner Heiligkeit des Dalai Lama nicht entmutigt.«
Martin-Liao sagt, mit der Zeit hätten ihre Mitstreiter und sie ein merkwürdiges Gefühl gegenüber G. entwickelt. »Wir hörten zum Beispiel, dass er zurück nach China gereist war. Das ist sehr ungewöhnlich für jemanden aus der Demokratiebewegung. Leute wie wir können das normalerweise nicht, aber ihm wurde es offenbar gestattet.«
Im Europaparlament wirkte Jian G. für viele wie ein Phantom. Der AfD-Politiker Krah ist in Brüssel oft zu sehen, auf den Fluren, auf Veranstaltungen, sein Mitarbeiter wurde selten gesichtet. Nur wenn es um das Thema China ging, etwa im Handelsausschuss, sei er plötzlich da gewesen, heißt es.
Seit Monaten gab es unter Parlamentariern Gerüchte, G. sei womöglich als Spion Pekings in Brüssel unterwegs. »Wir haben uns schon lange über diesen Mitarbeiter gewundert, der nur auftauchte, wenn es um chinesische Interessen ging«, sagt die Grünen-Außenpolitikerin Hannah Neumann.
Handfeste Belege aber fehlten. Bis zu dieser Woche, als die Bundesanwaltschaft Jian G. wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit festnehmen ließ.
Interna durchgestochen?
Die Ermittler gehen davon aus, dass Krahs Mitarbeiter etwa den Diskussionsprozess zu einer Resolution über Pekings Einfluss auf die kritische Infrastruktur in der EU ausgeforscht habe. In der Entschließung warnte das Parlament im Januar vor »Sicherheitsrisiken« durch technologische Abhängigkeiten von China.
Ebenfalls im Januar soll G. Interna zu einem weiteren heiklen Thema an den chinesischen Geheimdienst durchgestochen haben. Den Ermittlungen zufolge ging es um eine Resolution, in der das Parlament Peking auffordert, der Verfolgung von Minderheiten wie den Uiguren, Tibetern und Anhängern der Falun-Gong-Bewegung »sofort ein Ende zu setzen«.
Jian G.s Verteidiger war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Sein Chef Maximilian Krah will ihn nun entlassen und beteuert, er sei sehr an Aufklärung interessiert: »Wir werden auch bei mir im Büro weiter daran arbeiten, alles zu rekonstruieren, was in dem fraglichen Zeitraum von ihm bearbeitet wurde.« Er selbst werde Spitzenkandidat bleiben, aber am Wochenende am AfD-Wahlkampfauftakt in Donaueschingen nicht teilnehmen.
Original source:https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-festgenommener-mitarbeiter-von-maximilian-krah-wer-ist-der-mutmassliche-china-spion-im-eu-parlament-a-29ff68f8-75c6-4ba1-91c4-1076537f8dc3?giftToken=597e9faa-8458-457a-b3f6-8364f1361734